„Keine Gewalt!“ – und bitte endlich den Sand der Ver ­ klärung aus den Augen wischen

Alle träumten von Kuba, manch einer träumt immer noch – doch jetzt ist es höchste Zeit, aufzuwachen und die Augen zu öffnen. Die im Westen so gefeierte Bloggerin Yoani Sánchez hat blaue Flecken bekommen. Keine sprichwörtlichen oder virtuellen sind gemeint, sondern sie erhielt physische Schläge. Gegen ihren Körper. Ausgeteilt von Angehörigen der kubanischen Sicherheitsorgane. Ironischerweise war sie auf dem Weg zu einer nicht vom Staat organisierten Performance der Gruppe OMNI, bei der für Gewaltfreiheit demonstriert werden sollte, als man sie in die Mangel nahm.

Während also in Deutschland die Feierlichkeiten für den 20. Jahrestag des Mauerfalls vorbereitet werden, gingen in Kuba etwa 60 junge Menschen, darunter viele Twens, auf die Straßen Havannas, um für Gewaltfreiheit zu demonstrieren. Wendekinder würde man hier sagen. In Kuba haben sich jedoch zwei Jahrzehnte eines Konsolidierungsversuchs der kubanischen Regierung unter veränderten politischen Bedingungen in die Körper und Seelen der jungen Leute eingeschrieben. Von „Wende“ keine Spur.

Wie war das noch damals in der DDR? „Keine Gewalt!“ riefen die Menschen bei den Montagsdemos. Dort gingen damals alle hin, die mutig genug waren und etwas ändern wollten. Die so genannten RegimekritikerInnen. Erst waren es nur wenige, doch es wurden zunehmend mehr. Es hieß, die Ostdeutschen erkämpften sich grundlegende Menschenrechte, die ihnen die DDR verweigern würde: Reisefreiheit und Informationsfreiheit etwa.

Menschenrechte für angebliche SystemgegnerInnen sind immer politisch heiße Eisen: Der „Westen“ verweigert – spätestens seit dem Trauma des 11. September – gern angeblichen TerroristInnen die grundlegendsten Menschenrechte. So geschieht es in Abu Ghraib und in Guantánamo und, vor allem: an vielen Orten der Welt, die so sehr jenseits der medialen Aufmerksamkeit liegen, dass wir nicht einmal ahnen, was für schaurige Dinge dort geschehen. Alles im Namen des Schutzes der Demokratie. Zu unserem Besten.

Einen ähnlichen Schutzreflex kann man bei der kubanischen Regierung ausmachen: Alles, was von ihr als Gefährdung des Revolutionsprojekts angesehen wird, wird seit jeher in einen diffusen, rechtsfreien Raum abgeschoben. Alles Weltgeschehen wird unter dieser Perspektive betrachtet und bewertet, und gegebenenfalls werden da schon mal Todesurteile vollstreckt. Alles im Namen des Schutzes der Revolution. Zu ihrem Besten.

Auf der Strecke bleiben dabei die Menschen und: wieder die Menschenrechte. Eigentlich, so argumentieren PolitikerInnen überall auf der Welt, machen sie ihre Politik für die Menschen, nicht für den Systemerhalt. Die Diskussion, ob der Systemerhalt noch den Menschen diene, wird – aus machtpolitischem Kalkül – meist tunlichst vermieden. Denn dabei kann ja so etwas Unbequemes herauskommen wie in Honduras: Eine breite Volksbewegung, die offensichtlich etwas verändern möchte, was anderen politischen AkteurInnen problematisch erscheint.

Wo die Frage nach Veränderung politisch nicht erlaubt ist, liegt ein dicker Hund begraben. Er wacht über einen polarisierten Diskurs ohne Zwischentöne. Die stillschweigende Übereinkunft, alle unbequemen Geister wären radikale UmstürzlerInnen und gefährdeten das bestehende System als Ganzes, ist eine sehr bequeme Rechtfertigung zur Verhinderung einer Diskussion. Wer es wagt, eine alternative Position zu vertreten, wird einfach totgebissen. Darin sind sich die VertreterInnen der orthodoxen Positionen herzlich einig.

Totgebissen hieß bis eben im Falle der Blogger-Community in Kuba noch: totgeschwiegen. Sánchez ist zweifellos ein Medienstar des Westens. Ob sie in Kuba gelesen werden würde, wenn dies denn ginge – wissen wir nicht. Den Versuch wagt man in Kuba leider nicht, der Blog ist gesperrt. So schreiben die BloggerInnen also für LeserInnen im Ausland – oder in den Worten des kubanischen Regierungsdiskurses: Für den Imperialismus, der sie dafür bezahlt. Davon, dass sie für die Worte in diversen Blättern anständig bezahlt werden, ist auszugehen, ja, das ist sogar zu hoffen. Aber: Schreiben alle BloggerInnen eigentlich so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist – anscheinend häufig „rechtskonservativ“ – und die vor allem (rechts-)konservativen Medien lechzen nur danach, ihre Worte zu publizieren, während gleichzeitig auffällt, dass linke Medien fast geschlossen das von der kubanischen Regierung an den Tag gelegte Totschweigen übernehmen? Oder schreiben die BloggerInnen jetzt bzw. schon immer nur das, was man im Westen hören will? Mit dieser Frage könnten Sprach- und MedienwissenschaftlerInnen sich sicher einige Jahre die Zeit vertreiben. Kann sich die vom kubanischen Staat totgeschwiegene Blogger-Community denn der Vereinnahmung und Instrumentalisierung durch den Westen entziehen? Wie sollte das aussehen? Welche Verantwortung haben die BloggerInnen dabei selbst? Bei BloggerInnen vom Bekanntheitsgrad einer Yoani Sánchez ist schon davon auszugehen, dass sie auch mal nein sagen könnte, wenn bestimmte Medien anklopfen, ohne dadurch zu riskieren, dass sie vom Westen nicht mehr gehört wird.

Wurden ostdeutsche RegimekritikerInnen nicht auch vom Spiegel hofiert? Von der westdeutschen Politik instrumentalisiert? Klingt Dissident in unseren Ohren nicht schon etwas anders als RegimekritikerIn oder Opposition? Klingt es nicht gleich so, als würden alle DissidentInnen alles Bestehende über den Haufen werfen wollen? Erinnern wir uns also – weil wir doch eh gerade offiziell dazu angehalten werden – an die deutsche Geschichte vor 20 Jahren: Das Spektrum der Kritik reichte von Positionen des „die DDR besser machen“, wie sie etwa von Bärbel Bohley vertreten wurde, bis zur Befürwortung der Wiedervereinigung, wie sie etwa von Markus Meckel vertreten wurde.

Über all das könnte und müsste diskutiert werden. Aber gerade wird nicht mehr nur totgeschwiegen, sondern auch zugeschlagen.

Die Anwendung von Gewalt ist verabscheuungswürdig. Das sollte aufrütteln und die heutzutage so viel zitierte Zivilgesellschaft auf den Plan rufen. Wenn jemand blaue Flecken bekommt, weil die Worte den Herrschenden zu unbequem geworden sind, dann, spätestens dann, sollten sich alle den Sand aus den Augen wischen. Dann sollten wir nicht mehr im Namen des Erhalts von diesem oder jenem System den politischen Bauernopfern schweigend zustimmen und so dem Diskurs der Systeme ohne weiteres Aufmucken einfach folgen. Angeblich zu unserem Besten. „Keine Gewalt!“ war der gemeinsame Nenner, auf den sich die Akteure in DDR und BRD im Herbst 1989 haben einigen können. Können wir das jetzt auch in Bezug auf Kuba tun?

Bettina Hoyer

Bettina Hoyer, Ethnologin (M.A.) arbeitet als freie Journalistin und Übersetzerin. Sie ist Ko-Autorin des landeskundlichen Spanisch-lehrbuchs „Cuba. Identidad entre revolución y remesas“ (Schmetter-ling-Verlag) und war Teil des Teams, das knapp ein Jahr lang bis zum Frühjahr 2009 die Blogs „Generation Y“ (Yoani Sánchez) und „Desde Aquí“ (Reinaldo Escobar) ins Deutsche übersetzt hat.

Artikel aus Womblog.de  http://womblog.de/2009/11/09/kommentar-zu-kuba-am-9-november-2009/#more-9985