In aller Demut

Man müsste nicht auf den Jahrestag des „Schwarzen Frühling“ von 2003 warten, um das Thema anzupacken, aber eines darf nicht passieren, dass nämlich der 18. und der 19. März geruhsam vergehen, während man weiß, dass sechs Jahre lang schon 75 Kubaner im Gefängnis sind wegen des einzigen Vergehens, ihre Nichtübereinstimmung mit der Regierung publik zu machen.

Wo ich „man“ sage, spreche ich von mir selbst und von jedem Anderen, der auch nur die allerentfernteste Möglichkeit hat, etwas für die Freiheit dieser Menschen zu tun. Wenn ich von 75 Häftlingen rede, dann schließe ich sowohl alle ein, die sich körperlich hinter Gittern befinden wie die, die aus gesundheitlichen Gründen mit Haftverschonung „begünstigt“ wurden. Sind etwa Rául Rivero und Manuel Vázquez Portal nicht immer noch Gefangene? Will man mir einreden, Héctor Palacios und Oscar Espinosa Chepe seien freigelassen worden, begnadigt, amnestiert, freigesprochen oder Ähnliches?

Mit tut mein Land leid, und ich schäme mich furchtbar, wenn ich jemandem bekennen muss, dass ich in einem Staat lebe, wo ein Mensch wie Adolfo Fernández Sainz ein Zelle teilt mit gewöhnlichen Kriminellen, dass Pedro Argüelles im Strafverlies war, weil er sich geweigert hatte, Sträflingskleidung zu tragen, dass Pablo Pacheco, so wie fast alle, nicht mehr gesund ist.

Es sind keine Journalistenvorbehalte gegen das Aufschreiben einer zu langen Namensliste, die mich daran hindert, alle zu erwähnen. Ich spreche nur von denen, die ich kenne, von denen, auf deren Freundschaft ich stolz bin. Jeder weitere Tag ihrer Haftstrafe stellt eine Beleidigung von Vielem dar: des Rechts, unserer Geschichte, des Vaterlandes, Wie kann ich mit meiner Enkelin spielen, Bier trinken und an den Strand gehen, wenn ich bekennender Mittäter desselben Vergehens bin, das sie begangen haben?

Wenn es wahr wäre, dass sich Kuba auf essentielle Veränderungen hinbewegt, dann müsste der erste Beweis dafür die unverzügliche Freilassung aller Kubaner sein, die aus politischen Gründen in Haft sind. Und ihre Anzahl beträgt dann auf ungefähr zweihundert Personen. Wenn politische Meinungsunterschiede nicht straffrei werden, dann sind die übrigen Änderungen nichts wert. Es wäre unmoralisch, der Abschaffung des doppelten Währungssystems zu applaudieren, dem Verschwinden eines unnötig gewordenen Rationierungssystems, der Senkung aller Preise und der Anhebung aller Löhne, wenn im Gegenzug dafür Gefängnisstrafen für Andersdenkende akzeptiert werden müssten.

Ich möchte diesen Kommentar nicht schließen, ohne zuvor den Namen des einzigen Verantwortlichen für diese Situation zu nennen. Er heiß Fidel Castro Ruz. Nur wenn er die Order gibt, oder wenn der definitiv nicht imstande sein wird, zu verhindern, dass ein Anderer sie gibt, dann werden meine Freunde aus dem Gefängnis freikommen.  Weil ich nicht in der Lage bin, von ihm zu fordern, dass er sie freilässt, nutze ich diesen unbedeutenden Platz, um ihn – in alle Demut – zu bitten, er möge sein Telefon in die Hand nehmen, um seinen kleinen Bruder anzurufen oder den Innenminister und befehlen, die freizulassen, die er einst selbst einsperrte.

Hoffen wir, dass Kuba die World Baseball Classics gewinnt, und dass ihm in seiner Genugtuung einfällt, eine Amnestie zu erlassen!

Reinaldo Escobar

Übersetzung: Heidrun Wessel

Artikel aus desdecuba.com