Mit Zuckerbrot und Peitsche

Die Dynamik der „Politischen Korrektheit“[i] zersetzt das Thema Kuba, vor allem an zwei Fronten: dem US-amerikanischen Embargo und dem Bildungs- und Gesundheitswesen auf der Insel

Wenn man an Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung denkt, dann fallen einem Verfolgungen durch Regierungsstellen ein, „actos de repudio“[ii], Zensur der Medien und andere Repressionsmethoden, die häufig von Gewalt gegen die Person begleitet werden, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben will. Aber es gibt auch subtilere und „unblutige“ Mittel, diese Freiheit zu beschneiden, und diese arten letztlich in eine regelrechte Tyrannei aus. Dazu gehört das, was man als politische Korrektheit kennt.

 Im Großen und Ganzen ist der Begriff der „Politischen Korrektheit“ entstanden als ein Ausdruck, der jene Personen oder Gruppen – fast immer Minderheiten – schützen oder „retten“ soll, die nach Auffassung seiner Schöpfer durch Worte in ihrer Würde angegriffen oder verletzt wurden. In diesem Sinne sollten durch „political correctness“ Ausdrücke oder Sätze verhindert werden, die eine ethnische, Religions-, Rassen- oder sexuelle Minderheit verletzen könnten.  

 Daher kommt der Anspruch, einen Neger nicht mehr Neger sondern als Afroamerikaner, Schwarzafrikaner oder Farbigen zu bezeichnen, den Blinden als jemanden ohne Sehvermögen, den Mauren als „aus dem Maghreb“, einen Arbeitslosen als Erwerbslosen [iii], und aus Rücksicht auf die Weiblichkeit beginnen Ansprachen heute mit der Begrüßung von Schülerinnen und Schülern, Arbeiterinnen und Arbeitern, oder, so wie kürzlich in Spanien geschehen, der  „miembras y miembros“ des Ausschusses.[iv]

 Aber in dem Maße, wie sich dank der Medien und der Wissenschaftler die political correctness im sozialen, kulturellen uns politischen Raum ausbreitete, hat sie auch ihre Ziele verändert, weit über die Anfangsidee hinaus, die keineswegs als ungerecht bezeichnet werden könnte, selbst wenn sie nicht von allzu vielen geteilt wird.

 Jetzt spielt sie sich als Meinungsführerin auf, zeigt an, was gut und was schlecht ist, eine richtige Tyrannei der Überzeugungen, die gewisse Gruppierungen dogmatisch vertreten. Paradoxerweise wird dadurch der Relativismus zum Dogma verkehrt und das Neutrale zur Regel. So wie political correctness heute verstanden wird, verwässert sie jegliche Überzeugung, nur um niemanden zu kränken, um vor allen gut dazustehen außer vor denen, die solchem Zwang aus einer anderen Perspektive betrachten.

 Heutzutage ist jegliches Eintreten für Marktwirtschaft oder Kapitalismus politisch nicht korrekt, sofern es nicht von den entsprechenden Vorbehalten begleitet wird. Genauso jedwede Kritik am moralischen Relativismus oder der Multikultur. Hinweise auf Ausländer, die die sozialen Normen des Gastlandes nicht einhalten, werden als fremdenfeindlich bezeichnet. Es ist politisch nicht korrekt, im Bereich der internationalen Beziehungen scheinbar harte Ansichten zu vertreten, und noch viel weniger, die Daseinsberechtigung von UNO oder OAS in Frage zu stellen.

 Es ist unmöglich, über etwas zu debattieren, was bereits von gewissen Gruppierungen als politisch korrekt oder unkorrekt eingeordnet worden ist. Man muss sich alles vollständig zu eigen machen, was sie über die spanische Kolonisierung Amerikas erzählen oder über die Persönlichkeit des Che. Man muss Auffassungen akzeptieren, wonach Chávez die logische Folge früherer Regierungen ist – Adecos und Copeyanos[v] – ohne anzumerken, dass er bereits zehn Jahre an der Macht ist, oder Behauptungen, dass wir arm sind, weil andere reich sind, und dass wir, weil wir arm sind, auch im Inneren gut sind, dass multinationale Unternehmen Gauner sind, und dass der real existierenden Sozialismus auch sein Gutes hatte.

Die Aufmerksamkeit abziehen

 Der Fall „Kuba“ entkommt diesem Übel nicht, nicht nur wegen der Perversion von Wirklichkeit und Sprache, die jedem totalitären Regime eigen ist, sondern auch deshalb, weil über allem das „politically correct“ lastet und Themen und Absichten von Gruppen und Bereichen durchdringt, die keinesfalls als antidemokratisch oder als Kollaborateure verdächtigt werden. Es gibt zwei klare Beispiele solcher Einflussnahme.

 Als ob es im Leben immer nur darum ginge, abwechselnd  zu loben und zu tadeln, so gibt es Leute, die beim Schreiben von Verlautbarungen, Reden oder einfach von Erklärungen über die kubanische Wirklichkeit unvermeidlich auf das nordamerikanische Embargo hinweisen. Unabhängig vom eigentlichen Thema, selbst wenn es darum geht, schwere Menschenrechtsverletzungen anzuzeigen oder die notwendigen Veränderungen für die Insel einzufordern. Politisch korrekt ist es, in unmittelbarem Zusammenhang die US-amerikanische Blockade oder das Handelsembargo zu verurteilen, sei es weil es „erfolglos“ oder weil es „ethisch inakzeptabel“ ist. Man sollte es nicht darauf ankommen lassen, sagt manch einer.

 Einige verhalten sich so aus einer ehrenwerten Überzeugung heraus, dass die Sanktion unangemessen ist. Es gibt jedoch auch andere, deren Beweggrund die fortdauernde Ansicht  ist, dass sie dann eine größere Berechtigung hätten, das Geschen in Kuba zu kritisieren, wenn sie die Kuba-Politik des Nachbarn im Norden verurteilen. Als ob es eine Art Vor-Voraussetzung für freie Meinungsäußerungen gäbe, um über die kubanische Wirklichkeit zu reden.

Andere wiederum meinen, dass auf solche Art ihre Botschaft maßvoll erscheint. Und so kommt es, dass diejenigen, die sich durch Tun oder Unterlassen nicht an die Spielregeln halten, den Radikalen, Rechtsextremen oder strategisch Ungeschickten zugerechnet werden.

 Jedenfalls muss man jenseits der Beweggründe jedes Einzelnen sich dessen bewusst sein, dass in dieser Angelegenheit das Wesentliche nicht die Meinung über das Embargo ist, sondern darin besteht, das Thema anzusprechen (oder nicht), obwohl wir eigentlich wissen, dass es – zumindest punktuell – nicht die Hauptursache des kubanischen Problems ist.

 Bei derartigem Verhalten beginnt – wenn wir Glück haben – als geringstes Übel eine Diskussion darüber, ob es sich nun um eine Blockade oder ein Embargo handelt, oder über Sinn und Unsinn der amerikanischen Politik. Eine solche  Debatte endet häufig mit der Vereitelung eines bestimmten politischen Vorhabens – wegen fehlender Übereinstimmung in dieser Hinsicht.

 Offensichtlich funktioniert die politische Korrektheit in diesen Fällen als Mechanismus, der die Aufmerksamkeit abzieht von dem ursprünglichen und hauptsächlichen Anlass, die Stimme zu erheben, und sie wird möglicherweise eingesetzt, um in Schwarz-Weiss-Manier die Demokraten zu spalten.

Die „Erfolge der Revolution“

 Ein anderes Beispiel ist die von vielen Kubanern oder Ausländern – unabhängig von ihrer politischen Einstellung – vertretene Auffassung, dass das Bildungs- und das Erziehungswesen unangreifbar sind, was auch immer in Kuba geschieht. Es wird sozusagen das verteidigt oder einfach kritiklos hingenommen, was als wesentliche „Erfolge der Revolution“ gilt, und diese Haltung wird dadurch als politisch korrekt anerkannt. Schon wieder Zuckerbrot und Peitsche.

 Hier funktioniert die politische Korrektheit auf zweierlei Arten: an erster Stelle abschreckend und lähmend angesichts der Forderungen nach tief greifenden Veränderungen und mit unveränderlicher Zukunftswirkung. An zweiter Stelle wird, ebenso wie im vorherigen Beispiel, jeder als radikal oder parteiisch abgestempelt werden oder als unfähig, ein gutes Haar am Revolutionswerk zu lassen, der sich gegen die Behauptung wendet, das heißt, wer das Bildungs- und das Erziehungssystem in Frage stellt, ihre Qualität anzweifelt oder sich gar erlaubt, ein anderes, beispielsweise ein liberales System vorzuschlagen.

 Das sind zwei Beispiele dafür, wie die Dynamik der political correctness das Thema Kuba zersetzt, manchmal mit schwerwiegenden Folgen für die Einigkeit im Handeln. Was soll man dazu sagen bei den Idealen von Demokratie und Pluralismus, die wir sicherlich alle verteidigen.

Yaxys Cires Dib, Madrid | 17/07/2008
 Artikel aus Cubaencuentro.com

Übersetzung: Heidrun Wessel

[i] Bezeichnenderweise wird dieser Ausdruck im deutschsprachigen Raum überwiegend in seiner englischen Form „politically correct“ verwendet; Anm. d. Ü. 
[ii] In Kuba feststehender Begriff: politische Einschüchterung bis hin zu körperlicher Gewalt durch Regierungsanhänger, wird von Amnesty International als eine Art  psychische Folter verstanden; Anm. d. Ü.
[iii] Im deutschsprachigen Raum teilweise andere Schwerpunkte und Bezeichnungen, es sei hier exemplarisch erinnert an den „Migrationshintergrund“; Anm. d. Ü.
[iv] Die spanische Ministerin Bibiana Aido (PSOE) benutzte im Juni 2008 das – nur in männlicher Form existente – Wort „miembra“ und entfesselte damit heftige Diskussionen, die sich z. T. deutlich durch den bekannten „Machismo“ auszeichneten;  Anm. d. Ü.
[v] Ehemalige  politische Parteien der venezolanischen Oligarchie;  Anm. d. Ü.