Der linke Zyklop

Emilio Hernández widerspricht Edgar Göll

I n einem langen Artikel mit einem langen Titel „Blame de victime; Kritik und Solidarität in neoliberalen Zeiten“ gibt Edgar Göll im „Cuba Journal“ des Jahres 2004 seinem Erstaunen  Ausdruck über die Welle der Solidarität, die die Welt den Opfern der kubanischen Repression vom Frühjahr 2003 entgegenbringt. Es geht um 75 friedliche Dissidenten, die in Schnellverfahren zu bis zu 28 Jahren Gefängnis verurteilt wurden sowie um die Erschießung von drei Jugendlichen. Diese hatten – zwar mit Gewalt – ein Boot entführt, um Republikflucht zu begehen. Dabei war jedoch keine Person zu Schaden gekommen.

 Um nicht langweilig zu werden, möchte ich im Folgenden nur auf einige Aspekte des Erstaunens im oben genannten Artikel über die „völlig unzulängliche und verzerrende Rezeption der Ereignisse“ näher eingehen.

 Ein Aspekt lautet, dass die Verurteilten von allen als Dissidenten bezeichnet werden ohne dass irgendein Beweis dafür vorliegt. Nun, ich wusste nicht, dass Dissidenten einen speziellen Beweis brauchen. Vielleicht wird vermutet, dass sich unter den Verhafteten auch Spitzel der Staatssicherheit befinden. Dasglaube ich jedoch nicht wirklich, sonst wäre es sicher im Artikel erwähnt worden. In den Prozessen traten allerdings Spitzel als Zeugen auf und die Regierung verschaffte ihnen eine breite Öffentlichkeitsdarstellung als Helden. Natürlich waren sie in Wirklichkeit keiner Gefahr ausgesetzt und auch ihre Vorgehensweisen waren nicht wirklich scharfsinnig, denn sie denunzierten Dinge, die die Dissidenten in aller Öffentlichkeit und ohne Verschwörung taten. Richtig ist, dass einige dieser Spitzel sich besonders hervortaten als es darum ging, wirtschaftliche Hilfeleistungen von den USA zu erbitten und Treffen in der Interessenvertretung der USA in Havanna zu organisieren. Das geschah allerdings im Widerspruch zu den meisten Dissidenten. Natürlich verstehe ich diese Unterlassung, denn so etwas zu erwähnen könnte Erinnerungen an die Stasi und ihre Methoden wach werden lassen.

 Dissidieren bedeutet, eine unterschiedliche Meinung zu haben. Es besteht allerdings ein Unterschied zwischen dissidieren und kritisieren. Kritik hat eine positive Seite. Zum Beispiel dissidiert Herr Gröll nicht über die kubanische Regierung, als er schreibt, dass es nach allem Anschein nachweisbare bzw. nicht widerlegte Verfahrensmängel wie Kurzfristigkeit der Verfahren, Sammelprozesse, unzureichender Rechtsbeistand, Höhe der Strafmaße, umgehende Vollstreckung der drei Todesurteile gab. Möchte er vielleicht damit einen Fehler der kubanischen Regierung kritisieren, weil er meint es könne ihr schaden, wenn sie über die Strenge schlägt? Aber wenn die Verurteilten wirklich einer Beglaubigung bedürften dann wird sie im Artikel selbst bescheinigt, in dem sie als „Systemgegner“ bezeichnet werden. Das ist allerdings richtig. Die Dissidenten haben die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das aktive und passive Wahlrecht zum Ziel. Sie glauben, dass auf der Insel die Kubaner die gleichen Rechte wie die Ausländer besitzen sollen. Das sind nur einige der Erwartungen, die im gegenwärtigen kubanischen System keine Verwirklichung finden.

 Die Erschießungen in jenem „schwarzen Frühling“ sollten in dem zitierten Artikel u.a. als „Warnung nach innen und außen“ interpretiert werden. Es handelt sich ja nur um etwa 3 % der Urteile, die jährlich in den USA vollstreckt werden. Warum sollte man dann soviel Aufheben darüber machen? Natürlich will ich die Todesurteile in den USA keineswegs beschönigen aber ich glaube, dass es große Unterschiede in den Methoden und Ursachen der Gerichtsprozesse beider Staaten gibt. Wesentlich bedeutsamer um nicht zu sagen monströser ist, dass das kubanische Außenministerium die Urteile als politische Notwendigkeit rechtfertigte. Das hat man wohl noch von keinem nordamerikanischen Politiker gehört.

 Der Autor ist etwas irritiert über die Gleichsetzung von Kuba und den osteuropäischen Realsozialismen. Wahrscheinlich bezieht er sich nicht auf das Klima, denn dann hätte er Recht. Natürlich gibt es immer Unterschiede zwischen Ländern mit gleichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systemen. Aber die strukturellen Ähnlichkeiten wiegen stets schwerer als mögliche Unterschiede. Einezwar unakademische – Ähnlichkeit besteht darin, dass der real existierende Sozialismus auf der Lüge aufbaut. Währung, Statistik, die Unterstützung der Regierung durch das Volk usw. sind in diesem System eine Lüge. Im osteuropäischen System war es mit der Lüge zu Ende als man Transparenz einführen wollte.

 In Cuba ist die Regierung in erster Linie darum bemüht, keine Meinungsfreiheit zuzulassen  und rechtfertigt das sowie die anderen Exzesse unter Hinweis auf die Gefahr einer imperialistischen Aggression. Damit soll der Welt untergejubelt werden, dass das kubanische Problem in der Konfrontation Cubas gegen die USA liegt und dass das wirkliche Problem nicht zwischen dem Volk und seiner Regierung besteht.

 Einverstanden, dass Cuba nicht zu den elendsten Ländern und mit der höchsten Missbrauchsrate in der Welt gehört. Aber haben wir Kubaner deswegen weniger Rechte? Und warum soll deswegen die Fortdauer eines Regimes rechtfertigt werden, das sein Land von einem Land der Einwanderung in eines der Auswanderung herunter gewirtschaftet hat? Die Kubaner flüchten übrigens nicht nur in die USA sondern verstreuen sich in alle Erdteile. Der Weg in die USA über die Meerenge von Florida ist übersät mit Leichen, Tausende wurden zum Tod verurteilt und eine nicht kleine Anzahl Kubaner fiel in Kriegen in anderen Erdteilen.  

 Trotz der so genannten amerikanischen Vorherrschaft der USA, nahm Cuba vor 1959 an keinem Krieg in der Welt teil auch nicht in Korea. Das jetzige Regime hat das Land ausgeblutet und es im Lebensniveau vom dritten auf einen der letzten Plätze in Lateinamerika gebracht. Dieses Regime verwehrt seinen Bürgern alle Rechte und damit die Hoffnungen.   Unser Problem ist möglicherweise nicht das größte in der Welt aberes ist unser Problem. Aus diesem Grund sind wir froh über jede Solidaritätsbezeigung mit denen, die den Mut aufbringen, trotz Unterdrückung und Gefängnis, Rechte für das Volk zu einzufordern. Die Unterstützung der kubanischen Regierung durch Personen wie Herrn Göll macht mich nicht traurig. Ich verstehe sie, denn wir Menschen sind letztlich immer ein Opfer unserer Interessen. Was allerdings schmerzt ist, dass die Flagge der Linken – für mich ein Symbol der Gerechtigkeit – genutzt wird, ein Regime zu unterstützen und der einzige Grund dafür darin liegt, dass sie scheinheiliger weise von diesem Regime gehisst wird. 

Emilio Hernandez