Von der „Option für die Armen“ zur Option für den armen Castro

Innerhalb der Dialogtreffen, die 1997 vom Missionswissenschaftlichen Institut Missio e. V. (Aachen) unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Raul Fornet-Betancourt, dem Institut für vergleichende Sozialwissenschaft und interkulturelle/ internationale Sozialarbeit e. V. (Eichstätt) in Zusammenarbeit mit dem Referat Weltkirche der Diözese Eichstätt und den Gomboni-Missionaren in Ellwangen sowie dem Centro de Estudios de la Arquidi6cesis de la Habana organisiert werden, liegen jetzt die Akten der 2. Tagung vom November 2002 vor.

Unter dem Thema Kuba im Dialog. Kirchliche, politische und kulturelle Perspektiven der Zusammenarbeit (Aachen: Verlag Mainz, Wissenschaftsverlag 2003) haben die Herausgeber Fornet-Betancourt und Horst Sing vielseitige Beiträge versammelt, die zum konstruktiven Dialog einladen. Eingeleitet wird der Band durch den Festvortrag des Erzbischofs von Havanna, Kardinal Jaime Ortega, über den Beitrag der Kirche für die kubanische Gesellschaft während der hundertjährigen Republik. Der Kardinal nahm dabei die Worte des Papstes in dessen Ansprache vom Januar 1998 auf dem Platz der Revolution in Havanna auf: „Die große Herausforderung für die Regierungen in der Welt besteht heute darin, die soziale Gerechtigkeit durchzusetzen und dabei die Freiheit der Völker zu bewahren.“

Es folgen Beiträge über die Geschichte der Kulturbeziehungen zwischen Kuba und Deutschland, über die Rolle der katholischen Kirche und anderer Religionen auf Kuba während der Republik, über Jose Marti und sein Vermächtnis für die Republik, über die spanische Einwanderung und nationale Identität aus internationaler Perspektive. Grundlegend sind die beiden abschließenden Vorträge von Horst Sing: Die „Option für die Armen“ aus der Sicht „jenseits von Glaube und

, Unglaube“: Eine Perspektive der Zusammenarbeit im Kontext der Globalisierung und der Vortrag von Ignacio Delgado Gonz81ez aus Salamanca zu Perspektiven der Kooperation mit Kuba. Auch hier stand ein Satz des Papstes im Mittelpunkt: „Daß Kuba sich der Welt und die Welt sich Kuba öffne.“

Dem wissenschaftlichen Austausch und Dialog mit Kuba ist auch der Exkursionsbericht Berliner Studierender aus dem Jahre 2002 nach Havanna gewidmet. Die Ergebnisse liegen jetzt in Wort und Bild in über 20 Beiträgen vor, die fast den gesamten gegenwärtigen Kulturbereich umfassen: Isabel Exner, Andrea Meza, Beatriz Pantin, Sebastian Reckzeh (Hrsgg.), Aspectos dei campo cultural cubano. Una excursion a La Habana (Berlin: Wissenschaftlicher Verlag, Zentralinstitut Lateinamerika-Institut 2003). Die Besuche der kulturellen Institutionen in Kuba sind sorgfältig vorbereitet und bieten realitätsnahe Einblicke in die Kulturszene. Andererseits zeigen sich auch die Grenzen institutioneller Informationen, was besonders in den Beiträgen deutlich wird, wo die Studierenden auf eigene Faust zu recherchieren versuchen.

Interviews mit Leonardo Padura, Luisa Gampuzano und Mirta V8riez runden den abwechslungsreichen Band ab, der teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht: Auf den Spuren von Alexander von Humboldt auf Kuba. Garlos Rinc6n, der spiritus rector dieses Unternehmens, hat in einem kurzen Vorwort auch auf die wissenschaftspolitische Bedeutung dieser interkulturellen Begegnung hingewiesen.

Der PapyRossa Verlag in Köln sorgt für den kubafreundlichen Pluralismus in der durchweg kubakritischen Literatur im deutschsprachigen Bereich. Nach der Anthologie des politischen Denken Castros (Ernst F. Fürntratt-Kloep, Unsere Herren seid Ihr nicht! 2000) und den entlarvenden Interviews mit exilkubanischen Organisationen in Florida (Hernando Calvo Ospina, Katlijn Declerq, Originalton Miami. Die USA, Kuba und die Menschenrechte, 2001) hat Calvo Ospina jetzt auch die Familie Bacardl einer erbarmungslosen Kritik unterzogen. Als verlängerter Arm der Blockadepolitik der US-Regierung erfüllt sie ihre finanzkräftige konterrevolutionäre Aufgabe: Hernando Calvo Ospina, Im Zeichen der Fledermaus. Die Rum-Dynastie Bacardi und der geheime Krieg gegen Cuba (Köln: PapyRossa 2002, 12 Euro).

Wer weiß schon, daß es -wie in manchen Millionärsfamilien -einen kunstsinnigen, maecenatischen Flügel des Bacardl-Clans gab, der in Emilio Bacardl Moreau und seiner Frau Elvira Cape um 1900 bedeutende kulturelle Einrichtungen und literarisch-historische Werke hinterlassen hat, darunter in Santiago de Cuba die noch heute größte Provinzbibliothek im Oriente.

Dem Boom der Che-Biographien in den 90er Jahren folgen die Lebensbeschreibungen Castros. Der viel gelobte Klassiker Fidel Castro (Reinbek: Rowohlt 2002, 9, 90 Euro) von Volker Skierka ist jetzt auch als Taschenbuch erhältlich. Er ist auf jeden Fall aktueller als die Biografie von Peter Bourne, Düsseldorf, Wien, New York 1988, aber der persönliche Kontakt mit der Untersuchungsperson scheint immer nur den hagiographischen Historikern, Journalisten oder Filmemachern Castros vorbehalten zu sein.

Eine kürzere, aber aus Sekundärquellen kompilierte Taschenbuchdarstellung hat Albrecht Hagemann vorgelegt: Fidel Castro (München: dtv 2002, 9, 50 Euro). Sie mag als erste Information gelten, läßt aber viele Fragen offen.

Martin Franzbach