Reaktion der kubanischen Regierung auf die Demonstrationen am 11. Juli 2021

Am 11. Juli gingen in vielen Städten und Gemeinden Kubas tausende Demonstranten mit Losungen wie „Freiheit“ und „Wir haben keine Angst“ auf die Straße. Viele wurden von der Spontanität dieser Proteste überrascht. Keine politische Organisation  hatte sie ins Leben gerufen oder sie angeführt. Das, was im Ort San Antonio des los Baños durch eine Gruppe Jugendlicher begann, fand Nachahmung auf der gesamten Insel. Dazu trugen die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern oder von anderen Personen vor Ort aufgenommenen Videos bei. In den 62 Jahren der sozialistischen Regierung hatte noch nie etwas Ähnliches stattgefunden aber auch nicht in den vorherigen Diktaturen unter Machado oder Batista während der 30iger oder 50iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.  Natürlich helfen heute Mobilfunktelefone und die sozialen Medien bei solchen Aktionen von großer Tragweite.

Die Antwort der kubanischen Regierung folgte auf dem Fuß. Miguel Díaz-Canel , Raúl Castros Stellvertreter in der Führung der Kommunistischen Partei Kubas und als Präsident der Republik, trat in San Antonio de los Baños auf und wurde dort von den Manifestanten ausgebuht. Hierauf rief Diaz-Canel über das Fernsehen alle Revolutionäre und Kommunisten auf, sich diesen Protesten entgegen zu stellen: „Wir sind zu allem bereit. Der Befehl ist erlassen.“  Die Polizei, die anfangs die Demonstranten gewähren ließ, änderte nach diesem Aufruf ihr Verhalten hin zu einer Unterdrückung und Festnahme der Demonstranten.  Das kann man in verschiedenen Videos sehen. Am 12.  Und auch am 13. Juli gab es weitere Demonstrationen in anderen Orten. Im Stadtteil „La Guinera“  von Havanna schoss die Polizei auf die Demonstranten. Ein 36 jähriger Mann wurde dabei getötet und drei andere verwundet, unter diesen ein 16 Jähriger. In der Stadt Cardenas wurde der Bürger Joel Daniel Cárdenas Díaz in seinem Haus und vor den Augen seiner Familie erschossen. Fotos zeigen Männern, die mit Knüppeln in den Händen aus Omnibussen steigen, um gegen andere Kubaner zu kämpfen. Der Befehl wurde erlassen.

Es  wurden während der Proteste die Jugendlichen nicht nur verhaftet sondern auch in den folgenden Tagen von der Staatssicherheit und der Polizei alle Demonstranten, die wieder erkannt wurden, aus ihren Wohnungen abgeholt. Insgesamt handelt es sich um 898 Personen von denen bis zum 1. September noch 405 im Gefängnis saßen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt mit den Begründungen: Missachtung der öffentlichen Ordnung, Aufruf zu Straftaten und Attentaten.  Die verhängten Gefängnisstrafen bewegen sich zwischen 8 Monaten und vier Jahren. Die Regierung nutzte dabei die Gelegenheit, um auch Anführer der Dissidenten festzunehmen und zu verurteilen obwohl die meisten von ihnen weder Zeit noch Gelegenheit hatten, an den Manifestationen teilzunehmen.  Sie wurden beim Verlassen ihren Wohnungen verhaftet.

Die Staatsmacht bediente sich nicht nur der physischen Unterdrückung. Im Verlauf der ersten Proteste wurden Internet und Mobilfunk abgeschaltet. Die Repression führte kurzfristig zu einer Beendigung der Demonstrationen und dass unliebsame Personen aus dem öffentlichen Leben entfernt wurden. Es ist auch anzunehmen, dass Geiseln für einen möglichen Austausch von und mit  ausländischen Personen und Regierungen für eine Entspannung und Akzeptenz der kubanischen Regierung  vorgesehen werden. Allerding hat die Anwendung von Unterdrückung auch ihren Preis:

Die Regierung der USA belegte den Minister der Streitkräfte Kubas und eine militärische Einheit mit Sanktionen wegen ihrer Beteiligung zur Niederschlagung der Proteste vom 11. Juli. Das Komitee gegen das Verschwinden von Personen der UNO forderte von der kubanischen Regierung Aufklärung über den Verbleib von 187 verschwundenen Personen. Amnesty International hat sechs Kubaner, alle Künstler und Aktivisten, die nach friedlichen Protesten im Juli verhaftet wurde, als Gewissensgefangene bezeichnet. Die Europäische Union (EU) forderte die Freilassung von José Daniel Ferrer, Koordinator der Vaterländischen Union  Kubas (UNPACO) und von Felix Navarro, Präsident der Partei für Demokratie Pedro Luis Boitel. Außerdem wurde die Freilassung aller wegen ihrer Teilnahme an den Demonstrationen Verhafteten verlangt. Über zweihundert Schriftsteller und Künstler unterzeichneten ein Schreiben in dem die Freilassung von Bürgern gefordert wird, die gegen die kubanische Regierung sind. Die Unterzeichner sind Kubaner, die auf und außerhalb der Insel leben, sowie bekannte Persönlichkeiten aus Spanien, Kanada und den USA.

 Die kubanische Regierung versuchte die Ereignisse mit der allseits bekannten und schon abgenutzten Propaganda (Embargo und vom Imperialismus bezahlte Söldner) zu erklären.  Andererseits führte sie verschiedene ökonomische und soziale Maßnahmen ein, die ihre wirkliche Besorgnis erkennen lassen.  Das heißt, nicht mal sie glaubt ihrer eigenen Propaganda.

Wenige Tage nach den Demonstrationen kündigte die Regierung die Aussetzung  der Einfuhrzölle auf Lebensmittel und Medikamente für Reisende an. Diese Maßnahme gilt bis zum 31. Dezember.  Die Bewegung #SOSCuba forderte diese Ausnahme schon länger aber die Regierung war dagegen.  Es ist hervorzuheben, dass die massive Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten über Nichtregierungskanäle die Interessen der Firma GAESA, die der Armee gehört, beeinträchtigt.  Es bedeutet nämlich eine Verringerung der Auslandsüberweisungen (Remesas) in Devisen, die auf ausländischen Banken gesammelt werden und gleichzeitig weniger Verkäufe in den kubanischen Devisen-Geschäften, die ebenfalls den Militärs unterstehen.

Trotz der durch Corona bedingten Einschränkungen für in Kuba Einreisende, wurden bis zum 1. September 112 Tonnen Lebensmittel, Hygieneprodukte und Medikamente eingeführt. Die massive Einfuhr dieser Produkte könnte seit Anfang Juli stark steigen, denn die US-Behörden erlaubten zwei Frachtfluggesellschaften, auf zwei Flügen pro Woche Hilfsgüter nach Kuba zu transportieren. Allerdings hat die kubanische Regierung bis zum heutigen Zeitpunkt keine Landeerlaubnis erteilt. Zweifelsohne haben die kubanischen militärischen Händler ihre Hände im Spiel.

Zusammen mit den Zollbestimmungen wurden 300.000 Kubanern, die inoffiziell und ohne Genehmigung in Havanna leben und aus anderen Provinzen stammen, eine Karte für die Lebensmittelzuteilung zugestanden, um auch rationierte Produkte kaufen zu dürfen. Diese Maßnahme läuft ebenso Ende des Jahres aus. Weiterhin wurde die Gratis-Verteilung von Lebensmittelhilfen aus anderen Ländern angekündigt. Das ist neu, denn bisher wurden erhaltene Schenkungen stets an die Bevölkerung verkauft.

Zusammen mit diesem Bündel von wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen begannen die Führungen der Partei und der Regierung eine Serie von Besuchen in benachteiligten Stadtvierteln wo Reparaturen an Wohnungen und kommunaler Infrastruktur veranlasst wurden. In diesen armen Stadtvierteln, von denen allein in Havanna sechzig  zu verzeichnen sind, unterstützten viele Bewohner die Proteste. Die Ärmsten rebellierten gegen „die Revolution der Armen für die Armen“.

Am 30. Juli verkündete die Regierung die Aufhebung der verordneten Höchstpreise für verschiedene landwirtschaftliche Erzeugnisse. Diese Preisobergrenzen wurden im April festgelegt mit dem Ziel, die Inflation (eine Folge des sogenannten „Ordnungsauftrags“) einzudämmen. Erreicht wurden allerdings eine explosionsartige Erhöhung der Preise und Löhne und eine Abwertung der nationalen Währung. Mit der Höchstpreisaufhebung erwartet die Regierung jetzt Anreize für die Produktion. Nur hat sie nicht bedacht oder vergessen, welche hohen Preise die Bauern für ihre Grundmittel zahlen müssen, die ihnen die Regierung bereitstellt.

Am 19. August wurde mit der Dekret Nr. 46 die Genehmigung für die Schaffung von kleinen und mittleren Betrieben (MIPYMES) erteilt, die seit Jahren bereits angekündigt  war.  Damit sind die auf eigene Verantwortung Arbeitenden mit drei oder mehr Angestellten verpflichtet, eine Firma zu gründen. Der Vorteil davon ist, dass sie eine juristische Person sein können allerdings ohne  freie Export- oder Importerlaubnis. Sie müssen sich aber unter die Leitung einer staatlichen Firma für Im- und Export  unterordnen. Auch stehen sie in Konkurrenz zu den staatlichen MIPYIMES, die parallel zu ihnen aufgebaut werden. Im Ausland lebenden Kubanern ist es nicht erlaubt in diese Firmen zu investieren.

Die Regierung reagierte nicht nur mit wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen auf den Konflikt am 11. Juli. Als erstes kam die physische Unterdrückung, dann Verordnungen, welche die Zukunft noch mehr beeinträchtigen und zwar die  Einschränkung bürgerliche Freiheiten. So sollen Proteste verhindert werden.

Am 17. August verabschiedete die Regierung die Gesetzesverordnung  Nr. 35. In dieser werden Meinungen im Internet unterdrückt, die als Cyberterrorismus beurteilt werden. Auch ethische Verfehlungen werden als ausreichend angesehen, um den Internetzugang zu sperren. Die Life-Übertragung von Demonstrationen kann als schädlich für die Einhaltung der öffentlichen Ordnung eingestuft werden. Mit der Verordnung werden unwahre Aussagen, beleidigende Kommentare und die Verunglimpfung des Ansehens des Landes bestraft. Auch wenn in der Verordnung nicht ersichtlich ist, wie die Autoritäten den Gebrauch von Cyberterrorismus aufspüren werden, ist vom allgemeinen Einsatz von Filtern und technischen Kontrollen auszugehen. Weiterhin wird die Nutzung von bestimmten Geräten eingeschränkt wie z.B. Antennen und Verstärkern mit denen eine größere Reichweite erzielt werden kann. Letztendlich werden mit dieser neuen Gesetzesverordnung alle Willkürmaßnahmen legalisiert, die im Zusammenhang mit der Unterdrückung der Ereignisse vom 11.7. geschahen.

Am 24. August trat die Gesetzesverordnung Nr. 41 in Kraft. In dieser wird die Auflösung des Kubanischen Institutes für Radio und Fernsehen (ICRT) angeordnet. Selbiges wird durch das Institut für Information und Soziale Kommunikation (IICS) ersetzt. Dieser Wechsel könnte darauf hinweisen, dass die Regierung ihre bisherige Kontrolle über die öffentlichen Medien als ungenügend einstufte. Dieser Eindruck wird durch die Worte des Präsidenten die Journalistenunion bestärkt als dieser die Aufgaben des neuen Institutes definierte; „(in der Revolution) ist die Presse oft Teil des politischen Kontrollmechanismus. Jetzt müssen wir vorrangig darauf hinwirken, dass die Presse Teil der sozialen und öffentlichen Kontrollmechanismen  wird. Das muss eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Institutes darstellen.“ _1/  Das IICS wird das Niveau eines Ministeriums haben. In Kuba wird dieses schon als „Wahrheitsministerium“  benannt in Anlehnung an den Roman „1984“ von Georg Orwell.

Die von der Regierung ungefähr einen Monat  nach dem 11.Juli eingeführten Maßnahmen zeigen ihre Besorgnis über ein Ereignis solcher Tragweite.  Sie dienten kurzfristig dazu, die Proteste auf den Straßen zu vermeiden. Allerdings zeigen sie auch auf, dass eine Breche in ihre Macht über die Einschüchterung und Kommunikation geschlagen werden konnte. Der Mythos „die Straßen gehören den Revolutionären“ wurde gebrochen. Die Kubaner haben die lähmende Angst überwunden. Kürzlich kritisierte das kubanische Gesundheitsministerium die Ärzte wegen der Betreuung ihrer Patienten. Das bewirkte einen wütenden Riesenaufruhr der Ärzte sowohl über Briefe als auch in Videos.  In einer Versammlung von Díaz-Canel mit Journalisten musste er sich die Klagen anhören über bestimmte Freiheitsbeschränkungen hinsichtlich der Berichterstattung  über die kubanische Realität. In Europa und den USA protestierten die dort lebenden Kubaner mit Nachdruck, um sich mit den auf der Insel Lebenden zu solidarisieren und forderten die Freilassung der eingekerkerten Demonstranten. Der Boden des „Castrismus“,  der eben noch so stabil erschien, ist ins Wanken geraten.

Emilio Hernández

Quellen:

_1/ En Cuba, los medios estatales son usados para el control social (cubanosporelmundo.com)

Nace el Ministerio de la Verdad en Cuba y se llama Instituto de Información y Comunicación – 14ymedio