Zu Ende des vergangenen Jahres und nach zehn Jahren Abwesenheit, besuchte ich meine Heimatstadt Havanna. Obwohl dieser Aufenthalt einzig und allein der Regelung einiger persönlicher Angelegenheiten geschuldet war, hatte ich ausreichend Zeit, um das Geschehen um mich herum zu beobachten und auch zu analysieren.
Während meines Aufenthaltes fand die „Sommerschule“ statt, eine Veranstaltungsreihe, die alljährlich von der Humboldt-Universität Berlin und der Fakultät für Ökonomie der Universität Havanna in Kuba organisiert wird. Auf dieser treffen sich unter anderem auch kubanische Absolventen von deutschen Universitäten. Meine Anwesenheitnutzte ich, um alte ehemalige Kommilitonen zu treffen, wobei ich das „alte“ betonen möchte. Auch nahm ich an einigen Konferenzen über die ökonomische, politische und soziale Aktualität in Deutschland teil. Die Veranstaltung beinhaltete auch Seminare in denen die Ex-Absolventen deutsch in Schrift und Sprache auffrischen konnten.
Im Rahmen dieses Programmes hatte ich die Gelegenheit, an einem Besuch der „Gärten von Hersey“ teilzunehmen. Dabei handelt es sich um ein kleines Waldstück voller ausufernder Vegetation in der Nähe Havannas, das von einem naturliebenden Grundbesitzer vor mehreren Jahrzehntenangelegt wurde. Diesen Ausflug fand ich wunderbar.
Zusammenfassend werde ich meine Eindrücke im Folgenden beschreiben:
Die sentimentalen: das Gehen an Orten voller Erinnerungen, – immer voller Vorsicht, mir in den Schlaglöchern und Unebenheiten der Fußwege und Straßen keine Knochen zu brechen- ein immer blauer Himmel sowie die Zuneigung von Nachbarn und Freunden.
Die kulturellen: ich genoss ein Konzert des nationalen Symphonieorchesters, obwohl es mich traurig stimmte, dass mehr Musiker auf der Bühne saßen als Zuschauer im Saal. Im Theater „Karl Marx“ besuchte ich mit Freunden die Aufführung „Dance Cuba“ von Lizt Alfonso. Das verdient einen Kommentar: Der riesige Zuschauerraum war komplett besetzt durch das unterschiedlichste Publikum. Darunter befanden sich Familien mit kleinen Kindern, dabei auch Babys, deren Geschrei in Kompetenz stand mit anderen Zuschauerkommentaren um uns herum. Als Krönung des Ganzen saßen wir auch noch in einer Reihe neben einer Tür, die ständig von den Leuten geöffnetwurde, um Süßigkeiten und Getränke zu kaufen, Kinder zur Toilette zu begleiten oder ungestört mit dem Handy zu telefonieren. Da die Tür oft nicht geschlossen wurde und es Tag war, blendete uns die Sonne, die durch ein Fenster auf dem Gang hereinschien. Trotz allem stellten für mich die Anwesenheit meiner Freunde, die Musik, die tänzerische Qualität sowie die Summe der Unordnung und Absurditäten ein unvergessliches Erlebnis dar, das ich allerdings nicht wiederholen möchte.
Die Unterschiede im Vergleich zu meinem letzten Aufenthalt vor zehn Jahren kann ich wie folgt beschreiben: Die Bauernmärkte sind gut bestückt –ich spreche hier nicht von den Preisen– obwohl, höhere Preise habe ich in den Devisenläden festgestellt, deren Angebot und bauliche Gegebenheiten oft Mängel aufwiesen. Da ich in fast allen Devisengeschäften Menschen anstehen sah, gehe ich davon aus, dass in der Bevölkerung mehr Devisen in Umlauf sind als importierte Waren in den Geschäften. Meiner Meinung nach gibt es dafür keine Lösung, denn der Staat verfügt weder über die nötigen Devisen noch ist er daran interessiert, dieses Defizit zu lösen.
Ein anderer Aspekt, der mir auffiel, ist, dass der Verfall aufgehalten wurde. Ich sage nicht, dass er beendet sondern dass er aufgehalten wurde und zwar dank privater Initiativen. Im Stadtteil El Vedado wurden viele Gebäude saniert. Diesen Eindruck hatte ich auch im Bezirk La Vibora und natürlich in Alt-Havanna. Sogar im Zentrum Havannas sind einzelne Lichtstrahlen der Verschönerung zu beobachten.
Auch hat mich das Verhalten der Mitfahrenden in den populären Taxis, genannt Almendrones, überrascht. Viele Personen aus allen Altersgruppen grüßten beim Ein- oder Aussteigen und baten um Entschuldigung. Kann es vielleicht sein, dass ein anthropologischer Schaden geheilt werden kann? Ein Hoffnungsschimmer.
Trotz der positiven Aspekte war ich bei meiner Abreise von der Insel pessimistischer als bei meiner Ankunft. Alle Menschen sind unzufrieden und dabei gleichzeitig konform. Es ist eine Konformität, die keiner Perspektive sondern einer Resignation entspringt. Die informative Blockade ist komplett. Nach zwei Wochen Aufenthalt bemerkte ich mein Unwissen über das Geschehen in der Welt und in Kuba. Ich hörte die Menschen nur über Krankheiten und Epidemien reden. Die Lösung der Alltagsprobleme erfordert die komplette Aufmerksamkeit der Kubaner und auch das durch jahrelange Indoktrinationgemindert Selbstbewusstsein bewirkt, dass die Menschen sich nicht vorstellen können, wie verschieden und reich das Leben sein könnte, wenn ihre Rechte respektiert würden.
Emilio Hernández