HAVANNA- BERLIN CONNECTION. RECHERCHE UND ZEITZEUGENBERICHT,ANHAND VON STASI-AKTEN,ÜBER DIE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DEN GEHEIMDIENSTEN IN OSTBERLIN UND HAVANNA“

„Die zwei Genossen der kubanischen Aufklärung hatten es eilig, als sie am 2. Februar 1981 das Haus an der Oberseestraße 66 in Berlin betraten. Sie übergaben den deutschen Kollegen des MfS eine Wunschliste mit Materialien und baten darum, die Bestellung bis zum 17. Februar 1981 zu erhalten.

Die MfS-Offiziere der Abteilung 26 und des Operativ-Technischen Sektors (OTS) sicherten den Compañeros eine umgehende Überprüfung und die mögliche Bereitstellung zu. Es ging um die „Schaffung eines operativ-technisch-gesicherten Raumes für die kubanische Staatssicherheit in der Botschaft der Republik Kuba in Ostberlin“.

Das soll keine Ausnahme gewesen sein. Die Operativgruppe der kubanischen Geheimpolizei, die eine Untergliederung des Innenministeriums (MININT) war und heute noch ist, unterhielt enge Beziehungen mit dem MfS. Konkret ging es um einen Raum im 4. Stockwerk der kubanischen Botschaft an der Berliner Straße in Berlin-Pankow, der für die geheimpolizeilichen Aufgaben einiger karibischen „Diplomaten“ besser und sicherer ausgestattet werden sollte.

Viele kubanische Agenten nutzten die diplomatische Immunität als Tarnung für ihre „politisch-operativen“Aktionen in Ost- und West-Berlin oder in der BRD aus.2 Der kubanische Botschafter in Berlin verlieh Mitarbeitern des MfS oder des MdI mehrfach kubanische Verdienstorden für die gute Zusammenarbeit. Erich Mielke, ein enger Freund des gegenwärtigen kubanischen Staats- und Regierungschefs Raul Castro, erhielt 1983 aus  den Händen des Botschafters eine Ehrenurkunde anläßlich des 20jähringen Bestehens der diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und Kuba.

Umgekehrt legten DDR-Diplomaten in Kuba großen Wert auf enge Beziehungen zu den dortigen Sicherheitsorganen. So gab der DDR-Botschafter in Havanna 1988 anläßlich des 39. Jahrestages der DDR-Gründung einen Empfang für leitende Mitarbeiter des MININT. Unter den Gästen befanden sich Innenminister Abrantes und die Chefs der Aufklärung und der Abwehr.

 Bis Ende der siebziger Jahren fanden in Ost-Berlin viele Gespräche zwischen dem Verbindungsoffizier des MININT und seinen DDR-Partnern in der kubanischen Botschaft statt. Später bevorzugte man konspirative Objekte des MfS.

Wie intensiv die kubanische Geheimpolizei verschiedenste operative Aufgaben in der DDR wahrnahm, zeigt eine nähere Untersuchung der Rolle des ehemaligen Botschaftssekretärs Juán Miguel Roque Ramirez. Oberst Roque war offiziell in der Funktion eines Botschaftssekretärs tätig, inoffiziell als erfahrener Geheimdienstler aber Verbindungsmann zum MfS. Zusammen mit der Stasi sorgte er für die Absicherung und „Bearbeitung“ der in der DDR tätigen Kubaner. Er trug auch die Verantwortung für die Ausweitung des inoffiziellen Netzes unter den Kubanern, die in der DDR studierten oder arbeiteten. Gleichzeitig koordinierte Oberst Roque die Lieferungen von Gerätschaften und Materialien zwischen den Geheimpolizeien der DDR und Kubas. Ein Mitarbeiter des MININT, der ihm unterstellt war und offiziell als Vizekonsul fungierte, war für die Realisierung von Abwehrarbeit und die Kontrolle der kubanischen Vertragsarbeiter zuständig. Er koordinierte die Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsorgan des MfS und dem Staatsanwalt.

Eine wichtige Aufgabe dieses „Vizekonsuls“ war auch die „operative Durchdringung“ der Verbindungen zwischen DDR- bzw. BRD-Bürgern und den kubanischen Arbeitern. Er war zwar in der DDR nicht zu Festnahmen, Durchsuchungen oder Vernehmungen berechtigt, durfte aber die kubanischen Vertragsarbeiter in die Räumlichkeiten der Botschaft einbestellen und dort befragen. Auch in den Bezirken der DDR wurden Offiziere des MININT mit diplomatischen Pässen eingesetzt, die engen Kontakt mit der Operativgruppe in Berlin sowie mit der Bezirksverwaltung des MfS unterhielten.

Roques Aktivitäten wurden öffentlich bekannt, als der westdeutsche Terrorist Johannes Weinrich, der zur Carlos-Gruppe gehörte, im Jahr 2003 vor Gericht gestellt wurde. Aus zwei Schreiben Roques, die an das MfS gerichtet waren, ging hervor, daß er sich im Frühjahr 1984 mit Weinrich und dem Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) Gerd Albartus alias „Kai“ getroffen hatte. Die beiden Terroristen baten Roque um Unterstützung und gaben ihm zu erkennen, daß sie für die 1983 verübten Bombenanschläge in Marseille verantwortlich waren. Da Roque im Jahre 2003 für eine Befragung durch das Berliner Gericht nicht zur Verfügung stand, wurde der ehemalige Leiter der Abteilung X (Internationale Verbindungen) des MfS, Generalmajor Damm, über die Zusammenhänge befragt. Er bestätigte, daß Roque dem kubanischen Geheimdienst angehört habe. Roque kehrte 1986 nach Havanna zurück und kam als Abteilungsleiter bei der Funkaufklärung des MININT unter.

Ohne die aktive inoffizielle oder offizielle Beteiligung der Diplomaten an den geheimdienstlichen Aktionen ist die Aufklärungs- und Abwehrarbeit der Kubaner auch heute noch nicht zu denken. Die Erfahrungen der „Connection Stasi-MININT“ spielen bis heute bei der Ausbildung und Qualifizierung kubanischer Agenten und Spitzel eine Rolle. Das alte Erfahrungspotential ist für folgende Bereiche noch aktuell“. 

JORGE LUÍS GARCÍA VÁZQUEZ 

Artikel aus https://kubaner-im-visier-der-stasi.blogspot.com/?m=1

Jorge Luís García Vázquez

Jorge Luís García Vázquez wurde 1959 in Havanna/Kuba geboren und studierte dort an der Pädagogischen Hochschule für Fremdsprachen. 1980 kam er als Dolmetscher für kubanische Vertragsarbeiter nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) in der DDR. Der kubanische Staatssicherheitsdienst versuchte, ihn als Informanten anzuwerben. So sollte er einen kubanischen Musiker, den er auf einer Tournee durch die DDR begleitete, ausforschen, was er ablehnte. Weil der Musiker die DDR verlassen wollte, half García Vázquez ihm, Kontakte zur amerikanischen Botschaft herzustellen; die Anrufe wurden jedoch abgehört.

Dem Musiker glückte die Flucht, doch García Vázquez wurde im März 1987 verhaftet und in die zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit nach Berlin-Hohenschönhausen verbracht. Wenige Tage später wurde er per Gerichtsbeschluss ausgewiesen und nach Kuba ausgeflogen. In Havanna wurde Vázquez weiterhin verhört, danach auf freien Fuß gesetzt. Doch auch im Anschluss war er den Zersetzungsmaßnahmen der kubanischen Staatssicherheit ausgesetzt: Sie belegte ihn mit Berufsverbot, setzte ihn Polizeikontrollen aus und ließ Briefe verschwinden. Er durfte nur zeitweise als Reiseleiter und Übersetzer arbeiten.

Heute lebt er in Berlin und arbeitet als freier Journalist. Seit 2009 führt er Besuchergruppen durch die Gedenkstätte.

Aus Jorge Luís García Vázquez» Stiftung HSH (stiftung-hsh.de)