Wo bleibt die Ethik?

Zwischen Dezember 2009 und März 2010 schweben Tod und Verleumdung über Kuba, aber das liegt weder an Erdbeben noch an den üblichen hinterhältigen Kampagnen gegen diejenigen, die die Unverschämtheiten unserer greisen Machthaber kritisieren, sondern am Erfrierungstod von Dutzenden von  Geisteskranken im Hospital de Mazorra und am Tod im Gefängnis des Orlando Zapata Tamayo nach einem Hungerstreik von mehr als 80 Tagen aus Protest wegen der Misshandlungen durch die Gefängniswärter.

 Das erste Ereignis wurde überdeckt vom Erdbeben in Haiti, aber im März tauchte es wie ein Bumerang wieder auf, weil die Pathologen ihre Fotos ins Internet gestellt hatten. Die Anklagen der alternativen Presse und das internationale Echo des Geschehens zwang die Regierung, das Schweigen zu brechen und Maßnahmen in der großen Hauptstadt-Irrenanstalt mit den höllengleichen Zuständen zu ergreifen.

Als Zapata Tamayo starb, trat der unabhängige Journalist und ehemalige Gewissensgefangene Guillermo Fariñas Hernández in Hungerstreik aus Solidarität mit dem Märtyrer und den gut zwanzig kranken politischen Häftlingen.

Die staatliche Antwort übernahmen die Journalisten Enrique Ubieta Gómez, der Zapata Tamayo in Cuba Debate und in Granma verunglimpfte, und Alberto Núñez Betancourt, der Autor einer Schmähschrift gegen Fariñas, die am Montag, dem 8. März im offiziellen Organ der Kommunisten veröffentlicht wurde.

Beide Texte wiederholen die Intoleranz, die Unverfrorenheit und die Geringschätzung des Lebens von Seiten derer, die unsere Insel regieren wie ein umzingeltes Heerlager. Sie sprechen von Söldnern, Straftätern, Erpressung und von Druck, als ob die überheblichen Mandatsträger den Teppich unserer Vielfältigkeit zu Applaus reduzieren könnten.

 Die Zensoren zögerten nicht zu lügen, um die Leser zu verwirren und die Auswirkungen  der vermeidbaren Tode herunterzuspielen. Aber der Hammer, der auf die Mauer der Intoleranz einschlug, kam von innen. Die Bilder der Geisteskranken und der Hungertod eines Menschen hinter Gittern sind stärker als die Diffamierungen durch Gehaltsempfänger der staatlichen Presse.

 Sowohl Ubieta Gómez wie auch Núñez Betancourt verletzen die Intimsphäre von Menschen, die sich extremen Herausforderungen stellen. Keiner der beiden kennt den Lebens- und den politischen Weg von Orlando Zapata oder Guillermo Fariñas. Beide gehen von der Aktenlage aus, die die politische Polizei zusammengefasst hat. Sie als konterrevolutionäre Söldner und Straftäter im Dienste eines feindlichen Landes zu  bezeichnen ist ebenso plump wie unglaublich.

 Den Eingriffen in die Privatsphäre und die Verzerrung der Tatsachen schlossen sich Ärzte und Beamte des Innenministeriums an, die –  nach Installieren von Abhör-  und Aufzeichnungsgeräten – unter Verletzung ihrer Schweigepflicht Aussagen vor Informationsmedien machten. In die Sache verwickelt ist auch die Journalistin Gladys Rubio, vom Noticiero Nacional des Fernsehens, wegen der Interviews über den Tod von Orlando Zapata.

 Und obendrein setzen die Gentlemen der Mesa redonda des kubanischen Fernsehens ihre Kommentare und Bilder ein, um die „Medienkampagne gegen die kubanische Regierung“ zu denunzieren. Selbstverständlich einschließlich der Inszenierung über die ärztliche Betreuung, die dem abgeschlachteten Streikenden zuteil wurde. Sie fügen „weitere Aktionen gegen die Revolution“ hinzu, wie Prozession der Damas de Blanco, sowie die „Antwort des wütenden Volkes“, sprich, die unflätigen Grobheiten, die von Agenten der Staatssicherheit angezettelt wurden; von denen, die die Damas „bewachen“, die Freiheit für die politischen Gefangenen fordern. Das wird nicht einmal erwähnt.

 Hinter den Diffamierungen verbergen die Wortführer des Regimes die Angst vor den internationalen Forderungen nach Achtung der Menschenrechte in Kuba. Sie verleumden die Kämpfer der bürgerlichen Gesellschaft, desinformieren die Bevölkerung und nebenbei decken sie die jüngsten Korruptionsskandale um den General  Rogelio Acevedo – Präsident des Instituto de la Aeronáutica Civil – auf und die des Generals Abelardo Colomé Ibarra, Innenminister, der drei Schüsse auf seine Exfrau abfeuerte.

 Zum Berichten verpflichtet, verschweigen und verdrehen die Reporter des Regimes die Ereignisse. Man sollte nicht die Privatsphäre bemühen, um Ereignisse von gesellschaftlichem Interesse zu vertuschen; die Berichterstatter sollten eigentlich die Menschen achten, ihre Würde und ihren Anstand, selbst wenn die Bedeutung der Ereignisse nicht den Machthabern zugute kommt.

 Obwohl das alles nicht neu ist, stellt sich die Frage: Wo bleibt die Ethik?

 Miguel Iturria Savón in Ancla insular  22 März 2010
 
 Übersetzung: Heidrun Wessel
 
 
Artikel aus Ancla Insular http://vocescubanas.com/anclainsular/