Ohne Perspektiven

2008 war ein schwieriges Jahr, aber das laufende zeichnet sich als noch unsicherer ab, wenn die Regierung nicht mit oberster Dringlichkeit die notwendigen Maßnahmen ergreift.

2008 war eines der schwierigsten und kompliziertesten Jahre seit die Spezialperiode [i] begonnen hat, sagte der Wirtschafts- und Planungsminister José Luis Rodríguez, als er Ende Dezember der Volkskammer[ii] den Bericht über die Ergebnisse der Wirtschaft 2008 und die Grundzüge des Wirtschafts- und Sozialplans 2009 vorstellte.

Die vom Minister zitierten Zahlen bestätigen – ebenso wie die von der Nationalen Statistikbehörde ONE [iii] zur Verfügung gestellten – diese Einschätzung, wenn auch die kubanischen Indikatoren wenig glaubwürdig sind und eine flüchtige Analyse der Gesamtumstände der mitgeteilten Ergebnisse Zweifel weckt sowie Unvereinbarkeiten von Daten und Wirklichkeit zeigt

 So wurde ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (PIB) von 4,3% vermeldet, gegenüber einer Planzahl von 8%, sowie ein reales Wachstum von 7,3% in 2007. Nach den Behörden sei die dürftige Planerfüllung hauptsächlich auf die Heimsuchung durch drei Hurrikane zurückzuführen sowie auf die beträchtliche weltweite Preiserhöhung für Lebensmittel und Treibstoff. Dazu komme ein erheblicher Preisverfall bei Nickel, dem Hauptexportgut. Das sind Tatsachen, aber es bleibt festzuhalten, dass bereits seit Juni die Zahlen des Jahresplanes nach unten korrigiert werden mussten, insbesondere durch eine erhebliche Kürzung der Investitionen – sehr viel früher als die Ankunft der Hurrikane.

 Unter den vorgelegten Zahlen fällt auf, dass die produktiven Bereiche mittelmäßige Ergebnisse erzielten und praktisch nicht gewachsen sind. Im Einzelnen zu erwähnen sind die Produktionszuwächse im Bereich von Ackerbau, Viehzucht und Waldwirtschaft von 1,6%, Fischerei 0,1%, Bergbau und Minenausbeute 2,9%, produzierendes Gewerbe (mit Ausnahme der Zuckerindustrie) 0,9%, Strom-, Gas- und Wasserversorgung 0,9%, Baugewerbe 3,3% und Transportwesen, Versorgung und Kommunikation 8,1%. Auffällig war der Rückgang von 6,2% in der Privatwirtschaft. Es wurden auch mehr als 4,0 Tonnen Brennstoff (Öl und Gas) hergestellt, das entspricht einem Zuwachs von 1,3% im Vergleich zum Vorjahr.

 Zusätzlich tritt die Nichterfüllung beim Wohnungsbau hervor: von geplanten 50.000 Wohnungen wurden nur 44.775 fertig gestellt, eine Abnahme um 7.832 Einheiten im Vergleich zum Ergebnis von 2007. Eine schlechte Nachricht, wenn man bedenkt, dass die drei Hurrikane 500.000 Wohnungen ganz oder teilweise zerstört haben, und dass 70.000, die in früheren Jahren durch Hurrikane beschädigt worden sind, noch auf ihre Instandsetzung warten.

 Obwohl ein Zuwachs von 9,1 % berichtet wird bei der Bruttoinvestitionen,insbesondere wegen des Ankaufs von Transportmitteln in China und anderen Ländern, bleibt dieser Indikator weit entfernt von der erforderlichen Höhe, die nötig wäre, um den Entkapitalisierungsprozess zu stoppen, der seit Jahren die Wirtschaft der Insel beeinträchtigt. Der Gesamtbetrag von 6,188 Milliarden Pesos, den die Bruttoinvestitionerreichte, bedeutet 13,5% des PIB und bestätigt, dass Kuba in unserer Region das Land mit dem niedrigsten Investitionsniveau ist.

Widersprüche
 
 
Der Zuwachs von 4,3% des PIB scheint eine Konsequenz der angeblichen Erfolge im Dienstleistungsbereich, nämlich durch Ausbau im Erziehungswesen von 5,2%, Öffentliche Gesundheit und Soziales 11,4%, Kultur und Sport 7,1% und Übrige Dienstleistungen von Kommunen und Vereinigungen[iv] von 6,7%. Diese hohen Prozentsätze spiegeln Erfolge, die in 2008 schwerlich zu erreichen waren. Im Erziehungswesen war der zuständige Minister abgesetzt worden wegen der schlechten Ergebnisse seiner Verwaltung, und sogar über offiziellen Quellen wurde von Unterrichtsmängeln berichtet.

 Die kritische Lage kam in den Redebeiträgen beim Kongress der UNEAC[v] ans Licht, wo mehrere Intellektuelle schwerwiegende Kritik an dem derzeitigen Zustand des Unterrichtswesens übten. Noch weniger glaubwürdig ist das Wachstum, das für das Öffentliche Gesundheitswesen vermeldet wird, obwohl eine enorme Qualitätsverschlechterung bei diesen Diensten offenkundig ist.

 Was Kultur und Sport betrifft, so fehlt auch hier die Nachhaltigkeit des vermeldeten Zuwachses, wenn man es nicht als Sieg interpretieren will, dass die Fernsehkanäle überlastet sind wie nie zuvor durch ausländische Programme, in erster Linie nordamerikanische. Insoweit sind die Ergebnisse bei den Olympischen Spielen in Peking ein Beispiel für den Rückschritt des Sports.

Und was die kommunalen Dienstleistungen angeht, so beleidigt der von ONE verkündete Zuwachs die Intelligenz der Kubaner, die täglich den Schmutz in Städten und Dörfern erleiden, unter anderem den Mangel an Hygiene, das schlecht funktionierende Abwassersystem, die unregelmäßige Müllabfuhr. Tatsächlich stellen die nicht nachhaltigen Zuwächse im Dienstleistungsbereich eine Wiederholung dessen dar, was bereits seit Jahren berichtet wird. Nimmt man die angeblich erreichten Steigerungen der letzten fünf Jahre, dann haben sich die Dienstleitungen wertmäßig verdoppelt – im Gegensatz zu dem Rückgang, der auf den ersten Blick in der kubanischen Realität festzustellen ist.

Wegen alledem ist es schwierig, das PIB- Wachstum von 4,3% zu bestätigen. Es steht außerdem im Widerspruch zu dem Wachstum – lt. offiziellen Quellen –  von nur 1,9% bei der Stromerzeugung. Es ist schwer verständlich, wie die Dienstleistungen hätten derart zunehmen können bei einer so niedrigen Zuwachsrate eines entscheidenden Elements für die Vornahme jeglicher Aktivität.

Die Widersprüchlichkeiten solcher Zahlen beschränken sich nicht nur auf das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes, sondern sind auch in der Arbeitslosenrate unter der aktiven Bevölkerung zu bemerken, nämlich 1,6%, vielleicht die niedrigste des Planeten, während im Gegensatz dazu die Regierung eine enorme Propagandaschlacht betreibt, gegen die Mengen an Mitbürgern im arbeitsfähigen Alter , die weder arbeiten noch studieren.

Das kann man an jeder beliebigen Ecke im Land beobachten, und es kommt an erster Stelle wegen fehlender Motivation und wegen der niedrigen Löhne. Im Bereich der Arbeitsproduktivität wurde ein durchschnittlicher Zuwachs von 2,6% berichtet, errechnet auf Basis eines unglaubwürdigen Bruttoinlandsproduktes. Deshalb ist auch dieser Prozentsatz wenig vertrauenswürdig.

Geradezu lachhaft ist der Anstieg der Verbraucherpreise um 0,8%, (lt. ONE), der  ausschließlich auf die Märkte in nationaler Währung bezogen ist. Denn ein erheblicher Teil der  Wirtschaftstransaktionen werden von den Bürgern in Pesos Convertibles[vi] abgewickelt, und es gab empfindliche Preiserhöhungen für viele Produkte, die gegen diese Währung angeboten werden. Solche Fälle waren die Preiserhöhung um 86% bei Dieselbrennstoffen und um mehr als 60% im Durchschnitt der verschiedenen Bezinsorten. Sie gingen zum Jahresende zurück, aber es blieben 33% bzw. mehr als 20% im Vergleich zum Preisniveau 2007.

Oscar Espinosa Chepe, Havanna,  21/01/2009 

Übersetzung: Heidrun Wessel

Artikel aus cubaencuentro.com

Anmerkungen der Übersetzerin:

[i]  Periodo especial en tiempos de paz (dt.: „Sonderperiode in Friedenszeiten“) Der Notstand, den Fidel Castro 1990 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verkündete. Er ist bis heute offiziell nicht aufgehoben.

[ii] Asamblea del Poder Popular

[iii] Oficina Nacional de Estadísticas

[iv] Otras Actividades de Servicios Comunales, Asociaciones y Personales,

[v] Unión Nacional de Escritores y Artistas de Cuba –  Kubanischer Schriftsteller- und Künstlerverband

[vi] CUC