Blame the victim: Kritik und Solidarität in neoliberalen Zeiten

Alte Vertreter des „neuen Europa“, die Spitzenpolitiker Walesa, Havel, und Goncz, schimpften in der FAZ über „kubanische Stalinisten“, forderten „Cuba libre!“ und: „Die kubanische Opposition muß die gleiche Unterstützung erhalten, wie die Vertreter des politischen Dissens im bis vor kurzem noch geteilten Europa sie einst erhielten.“ (18.9.2003) Auch die frühere PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer mahnte unter dem Titel „Castro Mauer auf!“ in der taz (27.9.2003) eine Öffnung Kubas und die Achtung der Menschenrechte an. Unzählige ähnliche Artikel bekamen Platz in namhaften Medien, in denen die Verhaftungswelle vom März/April 2003 und die Vollstreckung der Todesstrafe an drei bewaffneten Fährentführern in Kuba scharf kritisiert und Castro und Kuba allgemein äußerst hart attackiert wurden. Bei unvoreingenommener Betrachtung der Diskussion und bei systematischer Durchsicht der Artikel fallen charakteristische Merkmale auf, die hier im Kontext von „Kritik und Solidarität“ thesenhaft dargestellt und erörtert werden sollen.

Als jemand, der jahrelang bei Amnesty International (AI) engagiert war, ist mir die Einhaltung von Menschenrechten ein zentrales Anliegen. Und die diesbezüglichen Verhältnisse müssen auch in Kuba sicherlich verbessert werden. Speziell im Falle der Verurteilungen der 75 Kubaner im April 2003 sind allem Anschein nach Verfahrensmängel nachweisbar bzw. wurden in nicht hinreichendem Maße von den kubanischen Stellen wiederlegt. Dazu gehören Kurzfristigkeit der Verfahren, Sammelprozesse, unzureichender Rechtsbeistand, Höhe der Strafmaße, umgehende Vollstreckung der drei Todesurteile; darüber hinaus wird von Manchen die schlechte Unterbringung moniert. Mir liegen keine hinreichenden und zuverlässigen Detailinformationen vor, um diese Punkte fundiert einschätzen zu können. Doch einige Vorwürfe klingen plausibel und rechtfertigen sachliche Kritik. Dies ist in den herrschenden und in liberalen Medien erfolgt und soll hier nicht wiederholt werden. Vielmehr geht es mir im Folgenden darum, diese völlig unzulängliche und verzerrende Rezeption der Ereignisse zu analysieren.

1: Die Hintergründe der allgemeinen Sicherheitslage und Befindlichkeit, aber auch der Sicherheitsaktionen 2003 in Kuba, wie sie in Fachbüchern und -zeitschriften analysiert worden sind, werden in den domonierenden Medien nicht erwähnt. Die inhaftierten Kubaner werden durchweg – und ohne Beweise – als „Dissidenten“ bezeichnet.

2: Details der Verhaftungen und der Justizverfahren werden ignoriert. Offizielle kubanische Quellen und die Urteilsbegründungen werden nicht zitiert. Stattdessen wurde die Meinung des Wall Street Journal, der reporter sans frontier oder der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte unhinterfragt herangezogen und deren Ideologie verbreitet. So erschien im erzkonservativen Wall Street Journal direkt während der Verhaftungen in Kuba eine ganze Serie von Artikeln und die US-dominierten Nachrichtenagenturen verbreiteten weltweit das darin offerierte Klischee, der ergraute kommunistische Diktator Castro habe im Schatten des Irakkriegs die Opposition eingesperrt. Auch im deutschsprachigen Raum wurde diese Auffassung durch dpa (Klaus Blume, Mexiko) verbreitet und unhinterfragt reproduziert. Wie fehlerhaft und tendenziös viele solche „Meldungen“ waren, mag ein Beispiel zeigen: genüßlich wurde berichtet, der portugiesische Literaturnobelpreisträger und Kubafreund Samarago habe wg. der Verhaftungen mit Kuba gebrochen. Kürzlich hat er dem deutlich wiedersprochen – was allerdings nicht verbreitet wurde.

3: Selbst bei der wichtigen Frage von Menschenrechten werden hauptsächlich tendenziöse Quellen verwendet. Ich fand keinen Artikel, in dem Bezug genommen wurde auf verlässliche Quellen wie z.B. die von Amnesty International. In deren Jahresbericht – Berichtszeitraum bis Ende 2002 – heißt es über Kuba: „Mehrere offiziell nicht zugelassene Organisationen setzten sich für mehr Offenheit und den Schutz der Menschenrechte in Kuba ein. Die Behörden ließen sie weitgehend gewähren, wenngleich gelegentlich von Repressalien gegen Aktivisten berichtet wurde.“ (S.343) „Der seit einer Reihe von Jahren festzustellende Rückgang der Zahl gewaltloser politischer Gefangener wurde (…) von einigen Beobachtern als Anzeichen dafür gewertet, dass die Unterdrückung von Dissidenten an Härte verloren hat.“ (S. 345f.)

4: Ein Nachvollziehen der spezifischen Situation, in der sich Kuba befindet und speziell im März befand (Beginn der kolossalen militärischen US-Invasion im Irak entgegen Völkerrecht und allen UN-Beschlüssen), erfolgt nicht. Die Beobachterposition ist meist arrogant und distanziert. Daher wundert nicht, dass diese Autoren so tun, als läge Kuba sozusagen im Bodensee und nicht 90 Meilen unterhalb der USA; und dort leben Andersdenkende gefährlich, woran die sich 2003 jährenden US-Interventionen in Chile (11.9.1973) und Grenada (21.10.1983) erinnern sollten. Deshalb gehören die Ereignisse um Kuba nicht primär in den Diskurs über (bürgerliche) Menschenrechte, sondern in den des Rechts auf Selbstbestimmung und eigenständige Entwicklung (UN-Charta).

5: Der Rekurs auf Menschenrechte erfolgt mit einem einseitigen und verfälschend selektiven Fokus auf einige wenige Elemente. Auffallend ist, dass nur ein Ausschnitt thematisiert wird wie Meinungsfreiheit. Alle anderen wesentlichen Menschenrechte, wie in UN-Dokumenten manifestiert (soziale und kollektive Menschenrechte etc.) werden völlig ignoriert.

6: Es wird skrupellos mit zweierlei Maß gemessen: Kuba hat nicht annähernd solche Menschenrechtsprobleme wie z.B. NATO-Partner Türkei oder die USA (680 Inhaftierte allein auf Guantanamo, dem US-Militärbezirk auf kubanischem Boden; außerdem fast 100 Exekutionen pro Jahr in den USA), ganz zu schweigen von lateinamerikanischen Gesellschaften, wo Hunger und Elend, Analphabetismus und Ausbeitung, Folter und Attentate auf der Tagesordnung sind, wo Todesschwadronen und US-unterstützte Militärs ihr Unwesen treiben. Ein Beispiel aus dem AI-Jahresbericht 2003 über Nicaragua: „Extreme Armut, die durch Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft noch verschärft wurde, führte dazu, dass zahlreiche Kinder und Erwachsene an Unterernährung starben“ (S.418) und „Menschenrechtsverteidiger unter Beschuss“ (S.419). Nur: Nikaragua ist von den bösen linken Sandinisten „befreit“, das ist der Unterschied zu Kuba. Über das Elend heute wird kein Wort mehr verloren, das Schicksal der Miskito-Indianer – damals Oberthema bei westlichen antisandinistischen Menschenrechtsschreibern – ist ihnen heute völlig schnuppe.

7: Wenn über Kuba berichtet wird, dann fast ausschließlich als Problemgesellschaft und als morbides menschenrechtsverletzendes Regime. Über die teilweise hervorragenden Erfolge, Reformen und Innovationen Kubas z.B. bezüglich Umweltschutz, Bildung, Gesundheitswesen, regenerative Energien, partizipative Demokratie, Entwicklungshilfe wird vernehmlich geschwiegen. Und wie könnte Kuba erst in einem friedlichen und fairen Umfeld aussehen!

8: Fast immer findet eine Gleichsetzung von Kuba mit osteuropäischen Realsozialismen statt, und Castro wird implizit mit osteuropäischen kommunistischen Führungspersonen verglichen („Altersstarrsinn“). Allein solche Simplifizierungen belegen die völlig defizitäre Sachkenntnis der Autoren – aber sie bedienen damit wirkungsmächtige und gut verkäufliche Klischees.

9: In den Medienberichten über Kuba scheinen EU-Staaten Maßstab zu sein und nicht z.B. andere lateinamerikanische Gesellschaften. Und dann wird auch nicht ins Kalkül gezogen, mit welch immensen Problemen sich die Menschen in der EU oder auch den USA herumschlagen: soziale Verelendung, Sozialstaatsabbau, Massenarbeitslosigkeit, Politikverdrossenheit, Bildungsmisere, Kriminalität und Korruption etc. – sie sind keine relativierende Erwähnung wert. Die Sehnsucht nach einem Paradies scheint tatsächlich stärker als der Realitätssinn.

10: Politische Analysen und Reflexionen zur Gesamtlage in Lateinamerika (bzgl. Venezuela, Brasilien, Argentinien, Kolumbien, FTAA/ACLA) finden nicht statt. Völlig unberücksichtigt sind die militärischen Pläne der USA, die Aktivitäten von CIA und dem „Western Hemisphere Institute“ (früher „School of the Americas“). Desgleichen werden historische Erfahrungen (insb. US-Interventionen und manipulierte Kriegseintrittsgründe) nicht einbezogen.

11: Der gefährliche Schwenk der USA unter Herrn Bush auf eine neue Militärdoktrin wird nicht berücksichtigt (preemptive war, preemptive strikes, Revolution in Military Affairs etc.). Und deren bedrohliche Relevanz für Kuba wird völlig ignoriert.

12: Manche Autoren scheinen von einer ominösen Obsession getrieben, die in Haßtiraden gegen Fidel Castro seinen Ausdruck findet (Vergleiche mit Hitler, Beschimpfung als Diktator und Menschenrechtsverletzer usw.). Allem Anschein nach findet über den Umweg Kuba eine Art „Teufelsaustreibung des Kommunismus“ statt.

Zusammengefaßt: die herrschenden westlichen Diskurse über die Entwicklungen in Kuba sind gekennzeichnet durch eine extreme Dekontextualisierung, durch Verdrehung von Ursache und Wirkung, durch verfälschende Selektivität, durch unreflektierten Eurozentrismus und neoliberale Maßstäbe. Aber das dürfte für Linke nichts Neues sein, denn sie sind dieser Taktik immer ausgesetzt, und Sozialismus oder andere nicht-kapitalistische Gesellschaftssysteme haben noch nie eine faire Chance erhalten. Die Alternative Kuba soll durch Verunglimpfung, Angst, Isolierung, Schwächung ausgemerzt werden – die Hoffnung „eine andere Welt ist möglich“ soll sterben. Diese Tätigkeit scheint neben Anheizen von Konsum eine der Hauptfunktionen „freier“ Medien zu sein.

Die Rolle der USA gilt bei Experten als der bestimmende Faktor der Entwicklung von Kuba. Und auch die Vorkommnisse im Jahre 2003 standen unter starkem Einfluss der USA. Einige der im Hintergrund wirkenden unzähligen Aktivitäten der Bush-Administration sollen hier aufgeführt werden, da sie in der aktuellen Debatte weitgehend ignoriert werden und das Ausmaß der Desinformation verdeutlichen.

Bush führte das seit 1962 bestehende US-Embargo gegen Kuba weiter (Kosten für Kuba ca. 70 Mrd. $). Am 4.11.2003 hat dies die UN-Vollversammlung zum inzwischen 12. Mal seit 1992 fast einstimmig kritisiert und die Beendigung gefordert – natürlich wieder ohne Folgen! Präsident Bush richtete nach seiner umstrittenen Einsetzung eine „Cuba Dissidence Task Group“ ein, um regierungsfeindliche Personen und Aktivitäten gegen Kuba intensiv zu unterstützen, geleitet von US-Außenminister Powell. Und er ernannte reaktionäre Exilkubaner in wichtige Regierungsämter, z.B. Otto Reich (verwickelt in Reagans Iran-Contra-Skandal!) als Chef der Lateinamerikapolitik. Bush proklamierte in einer wichtigen Rede im Mai 2002 eine „Initiative für ein neues Kuba“ zwecks „Regime-Wechsel“ und bekräftigte dies erst kürzlich offiziell. Das „USAID Cuba Program“ zahlte von 1996 bis 2000 etwa 6,5 Mio $ an US-NGOs, um Dissidenten in Kuba zu unterstützen. Allein für 2003 sind nun Zahlungen für eine Transformation in Kuba in Höhe von 6 Mio. $ vorgesehen.

Die Bush-Administration provoziert Migration, denn obwohl seit 1995 vereinbart ist, dass die USA jährlich 20.000 Visa ausstellen sollen, werden immer viel weniger ausgestellt. Zugleich werden Kubaner mit dem „Angebot“ gelockt, bei Betreten der USA als Immigranten anerkannt, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und die Staatsbürgerschaft zu erhalten (unter solchen Umständen wären z.B. Mexiko oder Haiti menschenleer).

Anfang Juni 2003 hat US-Aussenminister Powell auf dem Weg zu einem Treffen der OAS in Chile die EU offen zu einer „gemeinsamen Strategie gegen Kuba“ eingeladen. Und exilkubanische Kreise der USA beeinflussen – in Arbeitsteilung mit der US-Regierung – vor allem lateinamerikanische Regierungen durch Geldzahlungen (u.a. für Wahlkämpfe), um sie zur Distanzierung von Kuba zu bewegen. Für bi- und multilaterale Aktionen gegen Kuba sind seit dem Helms-Burton-Gesetz von 1994 offen Mittel im US-Bundeshaushalt ausgewiesen.

Die USA haben in den letzten Monaten 19 kubanische Diplomaten aus Washington und New York (UN!) ausgewiesen; Bush verschärfte kürzlich die Reisemöglichkeiten für US-Bürger nach Kuba; hohe Beamte lancieren immer wieder den Vorwurf, Kuba produziere und verkaufe B- und C-Waffen; jüngst wurde Kuba unterstellt, Demokratien in Lateinamerika zu gefährden; auf dem Gipfeltreffen in Mexico meinte Bush, für Kuba sei kein Platz in einem demokratischen Amerika.

Bush provoziert auch militärisch, wie ein Zwischenfall vom Mai 2003 belegt: die USA strahlten auf 4 kubanischen (!) Radio- und Fernsehfrequenzen ihr antikubanisches Programm aus. Im Zentrum der Aktion stand ein High-Tech-Flugzeug der US-Spezialeinheit, die bereits in Grenada, Panama, Kuwait, Haiti, Jugoslawien und Somalia in zentraler Funktion beteiligt war. Im Hintergrund warteten 6 US-Jagdbomber, um eine etwaige kubanische Reaktion mit gezielten Bombardements zu „beantworten“.

Bushs Mann in Havanna, James Cason, sah sein Hauptziel darin, die Opposition in Kuba zu stärken und zu vereinigen. Dies versuchte er tatkräftig, traf sich mit etwa 300 Bürgern, verteilte „staatsfeindliche“ Materialien, verschenkte Tausende Radioapparate zum Empfang der kubafeindlichen US-Sender, gab erhebliche infrastrukturelle Unterstützung (PC, Internetzugang, Kopierer, Fotoapparate, Videorekorder u.a.) und führte in seiner Residenz Seminare mit Oppositionellen durch, die z.T. mit speziellen Ausweisen immer Zugang hatten. Ein weiterer eklatanter Verstoß gegen diplomatische und völkerrechtliche Grundsätze besteht darin, dass diese Kubaner Geld von der US-Regierung erhielten. Dies gilt gemeinhin als Spionage und Landesverrat. Casons provokantes Auftreten dürfte auch die Entführungen mehrerer Flugzeuge und den Entführungsversuch einer Fähre in die USA ermutigt haben. Drei der elf Schiffsentführer wurden wegen der Schwere ihres Verbrechens – sie gefährdeten das Leben von 70 Passagieren – zum Tode verurteilt und hinge­richtet.

Mit solchen Aktivitäten und der „Menschenrechts“kampagne wird das Ansehen Kubas und die Solidarität geschwächt. Dies ist bedeutungsam, weil die Verteufelung eines Gegners bei Erreichen einer bestimmten Intensität und Situation (z.B. große Ausreisewelle aus Kuba) den Vorwand für noch aggressivere oder gar militärische Aktionen der USA böte. In Demonstrationen in Florida hieß es: nach Irak ist jetzt Kuba dran, und ein US-Botschafter sagte, der Umgang mit dem Irak sei Beispiel für Kuba (Washington Times, 12.4.2003); US-Exilkubaner verrieten, die Bush-Administration habe ihre Ver­treter angewiesen, das Regime in Kuba zu provozieren (Neue Zür­cher Zeitung 25.3.2003).

Und wie re-/agiert der freie, demokratische Westen und die EU? Bis Anfang 2003 sah die Kubapolitik der EU vielversprechend aus: sie öffnete ein Büro in Havanna; EU-Außenmi­nister Niel­son lud Kuba zur Mitgliedschaft in das „Cotonou-Abkommen“ (Lomé-Nachfolge) ein; die Bundes­regierung plant ein Goethe-Institut. Aber auf die Verhaftungswelle in Kuba reagierte die EU scharf wie nie: Einschränkung der bilateralen Kontakte auf hoher Ebene, Reduzierung der Teilnahme an Kulturereignissen, Einladung von kubanischen Systemgegnern zu Feiertagen der EU-Staaten, Neubewertung des „Gemeinsamen Standpunkts“ der EU zu Kuba. Zu den Motiven für diese EU-Politik gehört, die Verstimmung der Bush-Administration wegen des Irak-Krieges zu beseitigen. Treibende Akteure sind die Proto-Demokraten Berlusconi und Aznar, während z.B. die Bundesregierung nicht bereit scheint, andere Akzente zu setzen – Kuba ist unwichtig, sondern sagte sogar die Teilnahme an der Buchmesse in Havanna ab, obwohl Deutschland Schwerpunktland sein sollte!

Nach Berücksichtigung all dieser Fakten ergibt sich als Fazit:

1. Die drakonischen Strafmaßnahmen der kubanischen Sicherheitsorgane im Frühjahr 2003 waren eine in Methode und Schärfe kritikwürdige Aktion; vor allem die Vollstreckung der Todesurteile gegen die drei Schiffsentführer ist umstritten.

2. Die Strafmaßnahmen geschahen aber keineswegs in einem Vakuum, sie hatten eine Vorgeschichte und waren zuvörderst eine Reaktion auf gefährliche Provokationen und Subversion durch die feindlich gesinnte, unilateral agierende Weltmacht USA.

3. Sie erfolgten, nachdem aus den USA Verbalattacken gegen Kuba gerichtet waren und als Bush seinen Irak-Krieg – gegen UN und „Freunde“ – inszenierte.

4. Sie sind als Warnung nach innen und außen gedacht, dass nun die Toleranzgrenze gegenüber der von den USA gestützten Subversion erreicht ist.

5. Die Maßnahmen sollten n. E. aber auch als Empörung und Hilferuf an andere Staaten interpretiert werden, die US-Aggressionen gegen Kuba nicht länger zuzulassen.

Folgendes Bild wurde vor drei Jahren vom Hauptreferenten eines internationalen Kuba-Kongresses vorgetragen: „In einem Hinterhof wird ein Mensch von einer Horde schwer bewaffneter Männer bedrängt. Einer tritt und würgt ihn. Seine Krawatte verrutscht. Die Nachbarn, die von oben herunterschauen und auch die Presse anderntags werfen aber nur dem Menschen vor, seine Krawatte sitze schief.“ Er meinte damit die extrem einseitige Sichtweise im Westen über Demokratie und Menschenrechte: Kuba wird von einer militärischen Supermacht bedrängt, alle gucken zu ohne ernsthaft einzugreifen und echauvieren sich über ein Detail, das zudem vom notwendigen Abwehrkampf herrührt. Dieses Bild trifft die jüngsten Entwicklungen in exemplarischer Weise. Kuba soll offensichtlich „sturmreif geschrieben“ werden!

Die Ereignisse um Kuba gehören deshalb nicht primär in den Diskurs über (bürgerliche) Menschenrechte, sondern in den des Rechts auf selbstbestimmte Entwicklung (UN-Charta). Jene, die die Einhaltung der Menschenrechte in Kuba einklagen, müssen die primäre Ursache – die aggressive und destruktive Politik der Bush-Regierung gegen Kuba stoppen. Doch das würde Zivilcourage voraussetzen.

In der wissenschaftlichen Studie von Susanne Gratius (Stiftung Wissenschaft und Politik) mit dem Titel „Kuba unter Castro – Das Dilemma der dreifachen Blockade. Die kontraproduktive Politik der ‚Demokratieförderung’ seitens der USA und der EU“ (Opladen 2003) heißt es resümierend: „Das Fazit dieser Arbeit lautet deshalb: Erst der Wegfall der potentiellen Interventions- und Einmischungsgefahr seitens der USA wird eine demokratische Öffnung in Kuba überhaupt erst ermöglichen.“ (S.328) Ich hielte es für intellektuell und moralisch recht beschämend, wenn einige Personen, die sich zur Solibewegung zählen oder einfach nur als mündige Bürger auftreten, hinter diese quasi-offiziöse Erkenntnis zurückfallen würden, um ihr persönliches Süppchen zu kochen oder ideologische Scheingefechte auszutragen – auf dem Rücken Kubas.

Welche Art von Solidarität erscheint angesichts einer solchen, für Kuba außerordentlich bedrohlichen Lage angebracht? Wahrhaftige westliche Menschenrechtsfreunde sollten sich meines Erachtens nachdrücklich für größere Handlungsspielräume Kubas engagieren. Aber noch exekutieren viele unter der Kuratel des Neoliberalismus stehende Autoren gegen Kuba eines seiner Kernprinzipien: das Opfer ist selbst schuld! Weil der Hauptverursacher zu mächtig ist, wird das Opfer malträtiert.

Edgar Göll