„Ich schreibe, also bin ich subversiv.“ Eine neue Eiszeit in Cuba?

Unter diesem Titel fand am 3. Juli 2003 im Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin eine Informationsveranstaltung zur Verhaftungswelle vom März 2003 und den Erschießungen von drei Schiffsentführern statt. Ein pluralistisch besetztes Podium mit Martin Franzbach von der DeCub, Harry Grünberg, dem Lateinamerika- Beauftragten der PDS, und dem Berliner Publizisten Peter B. Schumann leitete mit Kurzbeiträgen zur Diskussion mit dem Publikum über.

Die Veranstaltung wurde mit einem Auszug aus dem Gedicht „Todessuite“ von Raul Rivero, der am 4. 4. 2003 „als Söldner im Dienst des Imperiums“ zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, eingeleitet. Es folgte eine Chronik der Ereignisse, bei denen in jenen Tagen 74 Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler und Intellektuelle mit Gefängnisstrafen zwischen 6 und 28 Jahren bedacht wurden. Im Kontext des kubanischen Justizwesens handelte es sich um „Akte gegen die Unabhängigkeit oder die territoriale Integrität des Staates“. Erschwerend für das Strafmaß traten hinzu: Gruppenbildung von drei und mehr Personen, Honorierung von Presseartikeln in Dollars, schwerwiegende Folgen durch Publikationen im Ausland. Peter B. Schumann informierte über die Situation der Inhaftierten.

Politisch vertraten alle diese Angeklagten die Ansinnen des „Projekts Varela“, das von Oswaldo Pay8, dem Führer der „Christlichen Bewegung für die Befreiung“, initiiert worden war. Es sah ein nach Artikel 88 der kubanischen Verfassung von 1976 legitimiertes Volksreferendum mit den folgenden Forderungen vor:
1 ) Generalamnestie für alle politischen Gefangenen,
2) die wirtschaftliche Öffnung für kleinere und mittlere Privatunternehmen,
3) eine Verfassungsreform, welche die Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert,
4) ein neues Wahlgesetz, das Oppositionsparteien legalisiert,
5) freie Wahlen im Verlauf von neun Monaten.

Die konträren Reaktionen der USA, der EU und Castros bildeten den folgenden Themenkomplex, in den auch die Schließung des spanischen Kulturzentrums in Havanna durch die kubanische Regierung gehört. Künftig soll von dort aus „die wahre Kultur Spaniens“ verbreitet werden.

Kontrovers wurden vom Podium und vom Publikum die Ursachen dieser Ereignisse diskutiert. Als Frage der Gewichtung standen sich zwei Positionen gegenüber: einerseits die weltweite Aggressionspolitik der USA und die völkerrechtswidrige unmenschliche Behandlung der sogenannten Talibans in Guant8namo, andererseits der wachsende Widerstand in Kuba gegen die seit Beginn der Revolution repressive Politik gegen Andersdenkende. Die unterschiedliche Einschätzung der Ursachen implizierte auch die kontroversen Meinungen über die Perspektiven für den Sozialismus in Kuba und für die Oppositionsbewegungen.

Es verwundert, daß der kubanische Botschafter in Berlin in einem Schreiben an den Direktor des Ibero-Amerikanischen Instituts gegen diese Veranstaltung „als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas“ protestierte. Es sollte sich auch in kubanischen Diplomatenkreisen herumgesprochen haben, dass es einen Unterschied zwischen dem Meinungs- und Medienmonopol des Kapitals und des Comandante en Jefe gibt. Im Zusammenhang mit diesem Themenkreis vgl. den Artikel von Martin Franzbach, „Der Kubaner Raul Rivero -ein Poet und Patriot im Knast“,

in: Der Freitag, 9. Januar 2004. Marti  Franzbach